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Münchner Merkur, Juli 2018
Wohnen im Denkmal: Ein Kleinod von 1677 wird aufpoliert
Das heutige Esszimmer beherbergte im 17. Jahrhundert, als das Gebäude dem Kloster Tegernsee gehörte, eine Kapelle.
Gelting/Kirchbichl – Viel Geduld, Eigenleistung, Bürokratie, einiges Geld sowie viel Unterstützung von Freunden, Nachbarn und Familie waren nötig: Jetzt aber stehen Martina Öttl (50) und ihr Mann Andreas Rottmüller (49) kurz vor dem Ziel: Aus einem geschichtsträchtigen Gebäude, errichtet ab 1677, haben sie eine wohnliche, weitgehend zeitgemäße Behausung gemacht, die demnächst als Ferienhaus vermietet werden soll. Das Ehepaar ist sich trotz mancher Widrigkeiten einig: Im Lauf der Renovierungsarbeiten ist es für sie zu einem „Haus der Freude“ geworden.
„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme“: Mit diesem Zitat erklärt Martina Öttl ihre Motivation, das Projekt in Angriff zu nehmen. Ihr Mann spricht von einer „Liebhaberei“ – die im Laufe der Zeit noch gewachsen sei. „Je mehr wir von Fachleuten vom Denkmalschutz an Details erfahren haben, desto mehr haben wir uns in das Haus verliebt.“
Das Gebäude, das den Hofnamen „Zum Pfründ’n“ trägt, bildet sozusagen die Keimzelle des Weilers Schnaitt und befindet sich schon seit Langem im Familienbesitz: Martina Öttl ist auf dem benachbarten Hof aufgewachsen. Ursprünglich gehörte das Haus dem Kloster Tegernsee. „Den alten Chroniken ist zu entnehmen, dass die Bauern der Umgebung hier ihre Steuern abzugeben hatten“, sagt Martina Öttl. Aus diesen Einnahmen wurden die Pfründe bezahlt, also die Einkommen, die weltliche oder kirchliche Amtsträger vom Kloster bezogen – daher der Name „Zum Pfründ’n“.
Wegen dieser Funktion wurde das Haus für die Zeit auch relativ hoch gebaut. Es hat noch einen ersten Stock und ein Dachgeschoss. „Viele Abgaben wurden in Naturalien geleistet, das musste ja alles gelagert werden“, sagt Andreas Rottmüller.
„Und das hier war eine kleine Kapelle, in der die Bauern vor dem Bezahlen noch ein Gebet sprachen, um zu bezeugen, dass sie nicht betrogen“, berichtet seine Frau am Holztisch im kleinen Esszimmer. Gegenüber, dort, wo jetzt eine gemütliche Couch und ein Flachbildfernseher stehen, habe dann der Steuereintreiber gesessen.
Ursprünglich einmal stand das Haus allein auf weiter Flur, an der Hangkante zum Berg hinunter, am „Schnitt“ also. So leitet sich der Name Schnaitt her. Nach der Säkularisation ging das Gebäude Anfang des 19. Jahrhunderts in den Besitz eines Kutschers über, später besaß es ein Bauer. Der wiederum hatte drei Söhne, für die er 1866 rund um das Anwesen „Zum Pfründ’n“ drei Höfe baute, die bis heute den offiziell zu Bad Tölz gehörenden Weiler Schnaitt bilden.
Das alte Haus in der Mitte wurde in der Folge nicht mehr fest bewohnt. „Hier wurde Wäsche gewaschen und Brot gebacken“, sagt Martina Öttl. Das Gebäude diente als Lager oder auch als Unterkunft für Knechte. In den vergangenen Jahrzehnten sei es verpachtet gewesen. „Vor 40 Jahren hat es der Pächter liebevoll restauriert“, sagt Andreas Rottmüller. Schon seit Längerem aber „lag das Haus im Dornröschenschlaf“, wie Martina Öttl sagt.
Mit Auflösung des Pachtvertrags stand das Ehepaar – Martina Öttl ist seit 1677 die erste Frau im Grundbuch-Eintrag des Anwesens – vor der Entscheidung: verkaufen oder behalten? Die Entscheidung fiel ihnen leicht. „Wir wollten die Tradition erhalten und nicht, dass es ein Investor von außen bekommt.“
Die 50-Jährige, die im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, gibt heute zu: „Ich bin da vor zwei Jahren schon etwas naiv reingegangen.“ Eine Reise ins Ungewisse sei es aber keineswegs gewesen, meint Rottmüller. Der 49-Jährige, der für die CSU im Geretsrieder Stadtrat sitzt, ist Schreinermeister mit eigenem Betrieb in Gelting, wo das Ehepaar mit seiner neunjährigen Tochter wohnt. Er wusste nach eigenen Worten „zu 85 Prozent“, was auf ihn zukam. Eine der ersten Maßnahmen: „Das Haus freischneiden“, berichtet Martina Öttl. Es sei von Büschen, Rosengewächsen und Hecken quasi zugewachsen gewesen. „Am Anfang hat es die Radfahrer, die vorbeigefahren sind, fast geschmissen, weil sie ganz überrascht waren, dass da ein Haus steht.“
Bei der Renovierung selbst muss jeder Schritt mit den Denkmalschutzbehörden abgestimmt werden. Auch wenn das manchmal mit Diskussionen verbunden ist: Das Eigentümerpaar hat seinen Frieden damit gemacht. „Man muss eben immer einen Kompromiss finden zwischen der Erhaltung des Alten und einer bezahlbaren Lösung“, sagt Rottmüller. Welcher Parkettboden darf zum Beispiel verlegt werden? „Es ist da nichts Detailliertes vorgeschrieben, aber man muss erst anfragen, ob es zum Stil des Hauses passt“, erklärt der Schreinermeister. Auf die Antworten müsse man schon mal eine Weile warten. Die alten Böden reiße man in so einem Fall übrigens nicht heraus. Man lässt sie ruhen, legt also den neuen Boden darüber, sodass der Originalzustand wiederhergestellt werden könnte. Mit der Zeit sei das Vertrauen der Denkmalschützer gewachsen: „Sie sehen ja, dass wir das Bestehende erhalten wollen.“
Als das Ehepaar das Haus übernahm, „zog es durch alle Ritzen“, berichten beide. „Aber abdichten kann man hier nicht mit Silikon und Acryl“, so Rottmüller. Es mussten Hanf und andere ökologische Dämmmaterialien her. Über einen weiteren Knackpunkt laufen gerade noch Gespräche. Die Außenwand einfach so weißeln – das lassen die Denkmalschützer nicht zu, zumal die Fenster mit Malereien verziert sind, die allerdings teilweise erst einmal wieder freigelegt werden mussten. „Auch ein Kirchenmaler durfte es nicht machen – jetzt soll ein Kirchenrestaurator kommen“, berichtet Martina Öttl.
Fast an jedem Feierabend und jedem Wochenende arbeitete das Ehepaar in Schnaitt. Der Schreiner baute eine moderne Küche ein. Im ersten Stock entstanden zwei Schlafzimmer mit jeweils eigenem Bad. Bei der Einrichtung mussten kreative Lösungen her: Kleider- oder Wohnzimmerschränke haben in den kleinen Zimmern keinen Platz. Dass so viele Freunde halfen, ohne sich lange bitten zu lassen, bezeichnen sie als eine der besten Erfahrungen aus dieser Zeit. Weil so viele Arbeiten in Eigenleistung erfolgten, blieb es bislang bei einer Investition von etwa 100 000 Euro. Bald soll das Anwesen „Zum Pfründ’n“ nun bereit sein für die ersten Gäste.
Quellenangabe: Geretsrieder Merkur vom 12.07.2018, Seite 37